Wie uns Habeck zur Bürgerversicherung bringt

Derzeit herrscht große Aufregung bei der Springerpresse, der FDP und der CDU.
Grund? Robert Habeck hat eine Abgabe auf Kapitalgewinne vorgeschlagen, um damit das Krankenversicherungssystem in unserem Land breiter finanzieren zu können.
Inwiefern die ganze Debatte künstlich aufgebauscht wird, warum der Vorschlag sinnvoll ist und was am Ende trotzdem noch unbeantwortet bleibt, möchte ich in diesem Artikel einmal zusammenstellen.

1. Ausgangslage

Robert Habeck war zum Interview der ARD zugeschaltet. Der Moderator zitiert dort den Chef der Techniker Krankenkasse. Dieser hatte gesagt, die Beiträge zur Krankenversicherung würden bis auf 20% steigen, wenn nichts passiere. Zum Vergleich: Im November 2024 standen die Beiträge bei 14,6%. Diese Erhöhung würde sich also erheblich auf das Einkommen von Millionen Angestellten in Deutschland auswirken!
Weiterhin wurde auf das Programm der Grünen verwiesen, laut dem in Zukunft eine Bürgerversicherung umgesetzt werden soll. Also statt gesetzlicher und privater Krankenversicherung wie bisher, dann eine Versicherung für alle, in die auch alle einzahlen.

Hierzu antwortete Habeck, dass er Abgaben zur Sozialversicherung auf Kapitalerträge einführen möchte. Die grundsätzliche Fragestellung für ihn lautete: „Warum soll Arbeit eigentlich höher belastet sein als Einkommen durch Kapitalerträge?“

Das alleine reichte aus, damit von Seiten der Springermedien (Welt & BILD), sowie von FDP & CDU ein riesiger Shitstorm über die Grünen hereinbrach. Man behauptete, Habeck wolle an das Ersparte für deine Rente! Es wurde ein Bild der Furcht gezeichnet, bei dem die gierigen Grünen auch deinen Sparstrumpf plündern wollten!
Was dabei allerdings komplett ausgeklammert wurde und gleichzeitig auch die ganze Kampagne sprengt, sind die grundsätzlich im Raum stehenden Fragen:

1. Wie verhindern wir steigende Beitragssätze auf 20 % in den gesetzlichen Krankenkassen?
2. Warum wird Arbeit höher belastet als Kapitalerträge?
3. Wie sollen wir das System grundsätzlich für die Zukunft aufstellen?

Wer auf diese Fragen selbst keine zufriedenstellenden Antworten geben kann, sollte gerade also sehr vorsichtig agieren. Hierfür schauen wir uns gleich die Programme von FDP und CDU an.
Zuvor aber noch etwas Hintergrundinformationen.

2. Worüber reden wir eigentlich?

Worüber in der Medienlandschaft zur aktuellen Debatte geschwiegen wird, sind zwei grundsätzliche Aspekte.
Denn wie kommt es denn, dass die Krankenkassenbeiträge zu steigen drohen? Haben die schlecht gewirtschaftet? Sind uns die Kosten explodiert? Sind es diese bösen Bürgergeldempfänger und Flüchtlinge, wie uns Union und AfD immer weiß machen wollen?

Nichts davon!
Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, hat im Interview mit dem OMR-Podcast offengelegt, warum die Beiträge für Versicherte aktuell „ungebremst“ steigen werden. Schuld ist – und jetzt haltet euch fest – Jens Spahn von der CDU/CSU! Denn um den Schein von stabilen Krankenkassenbeiträgen zu wahren und so vor der Wählerschaft gut darzustehen, hat er die Krankenkassen verpflichtet deren Rücklagen abzubauen.

Wer so etwas umsetzt, weiß bereits zu Beginn, dass irgendwann alle Rücklagen aufgebraucht sind und die Beiträge spätestens dann wieder steigen müssen. Es ist also nur ein taktisches Manöver um nach außen gut dazustehen. Jetzt, wo keine Rücklagen mehr da sind, um die Beiträge künstlich niedrig zu halten, braucht es dringend Antworten.

Deshalb warnt der Chef der Techniker Krankenkasse gerade eindringlich, dass die Beiträge auf 20% steigen werden, wenn nichts passiert!

Worüber außerdem in der Medienlandschaft gut geschwiegen wird, sind die 872.000 Privatiers in Deutschland. Menschen, die von den Einkünften ihrer Aktiengewinne oder Mieteinnahmen alleine leben können. Diese Personengruppe wird von Habeck insbesondere angesprochen, wenn Abgaben von Kapitalerträgen für die Sozialversicherung diskutiert wird. Nicht Oma Erna mit ihrem Sparstrumpf fürs Alter.
Die bewusste Falschdarstellung durch Parteien und Medien ist Kalkül. Es schützt die Vermögendsten in unserer Gesellschaft. Am Ende wird sich dadurch nichts verändern, die Beiträge werden steigen und wer wird dadurch tatsächlich höher belastet werden? Richtig! Oma Erna mit ihrem Sparstrumpf, die natürlich in der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Oder ganz direkt: Dich, wenn du gesetzlich Krankenversichert bist.

Was also gedenken denn FDP und CDU für Oma Erna zu tun, um ihr diese Mehrbelastung zu ersparen?
Was haben diese Parteien in ihrem Programm für dich?

3. Gegenvorschläge? Wo denn??

Schaut man sich die Wahlprogramme der FDP und CDU zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung an, wird man ernüchtert zurückgelassen.
Wir starten mit der FDP.

Wir bekennen uns zum dualen System aus gesetzlicher (GKV) und privater (PKV)
Krankenversicherung. Daher lehnen wir eine Einheitskasse (sog. Bürgersversicherung) ab. In beiden
Versicherungssystemen wollen wir Wechsel- und Wahlfreiheit der Versicherten stärken. Um die
ungebremste Leistungsausgabenentwicklung in der GKV in den Griff zu bekommen, sollen in Zukunft
die Ausgaben nicht stärker wachsen als die Einnahmen. Zusätzlich werden wir alle
Leistungsausweitungen der letzten zehn Jahre einem Evidenz-, Effizienz- und
Wirtschaftlichkeitscheck unterziehen. Leistungen, die sich nicht bewährt haben, sollen aus dem
GKV-Leistungskatalog gestrichen werden.

Wir sind in einer Gesellschaft, in der wir mehr alte Menschen haben, als junge. Es gehen in den nächsten Jahren mehr Menschen in Rente, als Beitragszahler nachkommen. Es wird also weniger eingezahlt, gleichzeitig aber voraussichtlich mehr Leistung in Anspruch genommen werden. Zumal wir als Gesellschaft immer älter werden, also immer länger leben.

Die Antwort der FDP auf die Finanzierungsfrage lautet hier allen Ernstes: Wir zahlen nicht mehr aus, als reinkommt. Die Ausgaben senken wir durch Effizienzprüfung und mehr Wettbewerb (= der Markt regelt).

Seht ihr hier irgendwelche konkreten Zahlen? Wie viel kann man durch Effizienzprüfung einsparen? Wie sorgt mehr Wettbewerb konkret für günstigere Beitragssätze? Wie garantiert man, dass nicht an notwendiger Leistung gestrichen wird, nur weil sie bspw. wenige betrifft und somit Kostenineffizient ist?

Am Wahrscheinlichsten scheint mir, dass durch Digitalisierung und Entbürokratisierung tatsächlich kosten eingespart werden können. Diese schätze ich jedoch nicht so hoch ein, dass durch das gesamte GKV-System gegenfinanziert werden kann. Wenn doch, hätte ich gerne eine Berechnung dazu.
Folglich werden die Kosten steigen. Da sie sich an den Ausgaben orientieren müssen, die wie erklärt perspektivisch steigen werden, wenn wir die gleiche Versorgung sicherstellen wollen, schätze ich diese Erhöhungen als nicht gerade gering ein. Nicht umsonst warnt der Chef der Techniker Krankenkasse so eindringlich.

Im Fazit hat die FDP also ihr übliches Konzept auch auf die Gesundheitsversorgung übertragen, behält die Zwei-Klassen-Medizin bei und wird dafür Oma Erna zur Kasse bitten. Die darf dann aus ihrem Sparstrumpf etwas mehr für ihre Krankenversicherung abtreten als bisher und hat somit von ihrem Ersparten weniger zum Leben.

Die FDP will also an dein Erspartes, weil sie nicht an das von wirklich Reichen geht!

Schauen wir uns jetzt an, was die CDU in ihrem Wahlprogramm stehen hat.
Kleiner Spoiler: Wo die FDP zumindest programmatisch nachvollziehbar agiert, liefert die CDU…

Die Alterung unserer Gesellschaft, der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, der medizinisch-technische Fortschritt und steigende Kosten stellen unsere Gesellschaft vor große
Herausforderungen. Sie erfordern strukturelle Anpassungen auch in der Gesundheits- und
Pflegeversorgung. Uns geht es um jeden Einzelnen, um Daseinsvorsorge, Eigenverantwortung und Prävention. Wir stehen dabei zu den Grundpfeilern des deutschen Gesundheitssystems mit seiner bewährten Selbstverwaltung, zur Dualität von gesetzlicher und privater
Krankenversicherung, zu unserem Bekenntnis zum Grundsatz der Freiberuflichkeit und
zur solidarischen Beitragsfinanzierung. Wir führen einen Mentalitätswandel in der Gesundheitspolitik herbei: Miteinander und nicht gegeneinander ist das Gebot der Stunde.

Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung zukunftsfest aufstellen. Dazu streben
wir mehr Effizienz beim Einsatz von Beitragsgeldern an und stärken den Wettbewerb der
Krankenkassen.

Nichts! Ich lade euch gerne ein, selbst nachzuschauen. Außer allgemeinen Absichtserklärungen finde ich dort keine konkreten Pläne. Noch weniger als bei der FDP. Aber zumindest wisst ihr jetzt, warum ich mit der FDP gestartet bin. Was die CDU in zwei Sätzen formuliert, hat die FDP zumindest noch etwas besser dargestellt.

Am Ende bleibt aber auch hier die Erkenntnis:
Die CDU will an dein Erspartes, weil sie nicht an das von wirklich Reichen geht!

4. Zustimmung für Habeck

Natürlich gibt es zum Vorschlag von Habeck auch einiges an Zustimmung.
Allen voran möchte ich den Deutschen Gewerkschaftsbund DGB herausstellen. Dort heißt es, dass es sich bei den von Habeck vorgetragenen Ideen um alte Vorschläge des DGB selbst handeln würde.

Gleiches formuliert auch der Sozialverband Deutschland SoVD. Auch dort wird davon gesprochen, dass eine zusätzliche Abgabe auf Kapitalerträge zur breiteren Finanzierung des Krankenversicherungssystems keine neue Idee ist. Sie sorge für mehr Fairness und Gerechtigkeit.

Auch Ulrich Schneider unterstützt den Vorstoß von Robert Habeck. Als ehemaliges Mitglied der Partei die Linke und ehemaligen Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, freue ich mich besonders, dass die Grünen in dieser Debatte Rückendeckung „von links“ erhalten.
Besonders spannend die weiteren Ausführungen von Schneider, die dann nämlich zu einer Bürgerversicherung führen.

Ein kurzer Blick ins Wahlprogramm der Grünen zeigt nämlich an mehreren Stellen die Formulierung „…auf dem Weg zu einer Bürgerversicherung…“. Das entspricht gut dem Charakter der Grünen, einer Bündnispartei. Anders als eine Oppositionspartei wie die Linke beispielsweise macht (und machen soll!), fordern die Grünen nicht die Maximalforderung. Sie stellen sie als Lösung bereits in den Raum, fokussieren sich aber auf die notwendigen Schritte, um dort Mehrheiten zu sammeln.

Was bringt die tollste Forderung, wenn für die notwendigen Maßnahmen keine Mehrheiten gewonnen werden können?

Das kann man persönlich natürlich anders bewerten, gefällt mir allerdings an der Partei sehr gut und ergänzt sich für mich perfekt hin zu dem, was dann beispielsweise eine Linke fordert. Die Grünen präsentieren sich immer wieder als Wegbereiter für Fortschritt und notwendige Reformen.

Stellen wir uns eine Treppe vor, bei der am Ende die Bürgerversicherung steht. Die Aufgabe der Partei die Linke in der Opposition ist es, sich an dieses Ende zu stellen und alle anderen nach oben zu hieven.
Die Aufgabe der Grünen ist es, die Bereitschaft für den benötigten Aufstieg in der Gesellschaft zu sichern. Stufe für Stufe.

5. Was noch fehlt

Deshalb war der Vorstoß von Robert Habeck zum aktuellen Zeitpunkt mutig, aber unerlässlich wichtig.
Anders als Ines Schwerdtner von der Partei die Linke, denke ich, es wäre einfach gewesen, wenn Habeck auf die Frage nach einer Bürgerversicherung geantwortet hätte: „Ja, wollen wir. Wenn wir gewählt werden, werden wir in Koalitionsverhandlungen schauen, wie wir das umsetzen können.“

Alle hätten daraufhin mit den Schultern gezuckt. Keine neue Information. Kommt eh nicht. Wer soll das denn bitte mit den Grünen zusammen umsetzen? Welche Mehrheiten und Möglichkeiten gäbe es dafür, das komplette System unserer Krankenversicherungen in vier Jahren umzubauen? Haken dran. Fertig. Keine Erwartungshaltung.

Dadurch, dass Habeck hier die Gerechtigkeitsfrage gestellt hat, in der Bewertung von Kapitalerträgen der Superreichen im Vergleich dazu, wer diese Erträge überhaupt erarbeitet, haben wir das erste Mal seit Jahren eine wirkliche Diskussion darüber. Wir haben doch überhaupt gar keine Fortschritte in der Debatte um eine Bürgerversicherung gemacht bisher. Jetzt aber ist es möglich, wenn wir den geworfenen Ball aufnehmen und ihn offensiv weiter ausspielen!

Sicherlich sind hier noch einige Fragen offen.
Es wird von Freibeträgen gesprochen, aber keine Höhe genannt.
Das Thema Beitragsbemessungsgrenze kommt bisher noch viel zu kurz. Soll sie wegfallen? Neu bewertet werden? Wie sähe eine progressive Beitragsformel aus, die Ulrich Schneider in den Raum geworfen hat?
Und am allerwichtigsten: Mit welcher Entlastung könnten Versicherte rechnen? Wenigstens im Vergleich dazu, wenn nichts übernommen wird?

Hier dürfte man sich gerne ein Beispiel an Christian Lindner nehmen. Der sitzt in Podcasts und erklärt selbstbewusst, dass er mit zweistelligen Milliardensummen an Einsparungsmöglichkeiten rechnet. Dann nennt er hier und da generelle Punkte, an die er rangehen möchte und bleibt ansonsten lässig unkonkret.
Friedrich Merz und seine CDU reagieren ähnlich, wenn es um die Finanzierbarkeit von deren Wahlprogramm geht. Da setzt man einfach mal extrem optimistisches Wirtschaftswachstum voraus und lässt sich davon nicht abbringen. Ist okay. Sollen Sie machen.

Entsprechend könnten die Grünen jetzt allerdings ebenfalls mit groben voraussichtlichen Entlastungen kommunizieren. Im Mindesten würde es reichen nochmal zu betonen, dass über diese Maßnahme die im Raum stehenden 20% Beitragssätze verhindert werden könnten. Im Weiteren dann offensiv darauf verweisen, dass CDU und FDP keine Antworten haben, der Entwicklung nichts entgegenzusetzen haben und zum Abschluss volle Power auf die Gerechtigkeitsfrage verweisen. Immerhin sind es nicht die Grünen, die bei Oma Erna ans Ersparte wollen. Es sind Konservative und Liberale, die den Sparstrumpf durch weiter anwachsende Beiträge plündern werden.

6. Argumentationshilfe

Wenn dieser Moment genutzt wird, wenn wir das Ganze offensiv ausspielen und wenn wir das Narrativ kontrollieren können, dann werden wir das erste Mal überhaupt einen echten Schritt in Richtung Bürgerversicherung gehen. Das könnte dann endlich ein Durchbruch werden, dem weitere Schritte die Stufe rauf folgen können.

Damit das allerdings gelingt, müssen wir jetzt alles Teilen, was uns hierzu in die Finger kommt. Nicht nur dieser Beitrag, sondern auch ganz bewusst alles von Seiten der Partei und Parteinahen Accounts.
In unserem WhatsApp Status, auf Twitter, auf sämtlichen Social Media Plattformen, besonders auch auf YouTube und persönlich im Freundes und Bekanntenkreis.

Stellt immer wieder als erstes die Frage, wie die Beitragserhöhungen verhindert werden sollen und wer dafür entsprechend aufkommen soll. Fordert konkrete Zahlen ein. Wenn ihr keine bekommt, fragt, warum die Grünen konkrete Zahlen liefern sollen? Betont, dass bereits klargestellt wurde, dass um Reiche geht. Und betont, dass die Grünen damit für echte Entlastung sorgen würden. Stellt gerne die Gerechtigkeitsfrage. Verweist dabei auf Matthias Döpfner – Chef des Springerverlags (also auch der BILD) – der sich um die Schenkungssteuer für seine Aktien gedrückt hat. Er möchte selbstverständlich keine Abgaben auf die Erträge aus diesen Aktien zahlen. Entsprechend wird auch jedes Medium unter seiner Kontrolle dagegen sein. (:

Lasst uns diesen Moment zu unserem Moment machen.
Jetzt offensiv raus!
Für Oma Erna – und für dich! 🙂

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Foto: Sascha Heeskens

Hey, ich heiße Stefan.

Seitdem ich 2020 mit TikTok angefangen habe, war es mein Ziel, Ängste zu überwinden und Menschen zusammenzubringen.

Dieses Ziel erfüllt sich in #protestwählen.