Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen – Was nun?

Großer Schock.
AfD kommt in den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen auf über 30%.
Niemand konnte damit rechnen. Niemand konnte sich darauf vorbereiten.
So zumindest kommt es mir vor, wenn ich mir die Analysen auf Social Media und die Stellungnahmen der Parteien anhöre. Dabei war seit über einem Jahr absehbar, dass die Landtagswahlen genauso laufen werden. Spätestens nachdem die ersten Umfragen mit der neu gegründeten Partei von Sarah Wagenknecht veröffentlicht wurden, war die Marschrichtung klar.
Deshalb ist es für mich zum jetzigen Zeitpunkt unverständlich, wie so viele Menschen schockiert – oder schlimmer: Ratlos! – sein können. Es ist, als würde man Titanic schauen und den ganzen Film über hoffen, dass sie vielleicht doch nicht sinkt, weil ein Wunder passiert und sie diesmal doch am Eisberg vorbeischrammt.
Wo sind die Perspektiven? Wo sind die Pläne? Wo sind die Kampfansagen? Wo ist dringend
notwendige Selbstkritik?

Die beiden schlimmsten Aussagen, die ich hörte, sind:

„Wir haben unser Programm nicht gut genug erklärt.“

Effektiv wird schon wieder die Schuld beim Wähler gesucht, der einfach nur zu dumm war, die Programme der demokratischen Parteien zu verstehen. Es schwingt unweigerlich ein Elitarismus mit. Daran, dass man die eigenen Positionen nicht ausreichend vermitteln konnte, liegt es 100%ig nicht. Diese Aussage hört man von Parteien nach jeder Wahl. Dabei ist es doch so offensichtlich, dass die Zeit der Erklärungen vorbei ist und die Zeit des Zuhörens endlich beginnen muss. Es ist zwingend notwendig endlich die eigenen Positionen zu überarbeiten bzw. zu schärfen. Rechten Positionen wieder konsequent entgegenzustehen. Wie wäre es mit Inhalten, die keine Erklärungen benötigen? Nicht erklären müsste man, warum Grüne und SPD gegen Abschiebungen stehen. Erklären muss man nur, warum sie es tun. Gleiches gilt für weitere Themen wie zum Beispiel Bürgergeldsanktionen und Bezahlkarten.

„Die Ampel ist schuld an den starken Ergebnissen der AfD“

Bereits 2019 hatte die AfD Werte von 23,4% in Thüringen und 28,4% in Sachsen erreicht. Als Friedrich Merz den Vorsitz der CDU angetreten ist, hat er versprochen die AfD zu halbieren. Dafür haben er und weitere Rechtspopulisten sich an „Trumpismus“ bedient, immerzu gegen die Grünen und die Ampel geschossen und jede Möglichkeit genutzt, die Politik der Ampel zu torpedieren. Alles mit dem Ergebnis, dass die Positionen der AfD von einer demokratischen Partei legitimiert wurden. „Kleine Paschas“ in der Schule. Ukrainer, die sich bei uns ihre „Zähne richten lassen“. „Faule“ Bürgergeldempfänger, durch die sich schlecht bezahlte Arbeit plötzlich nicht mehr lohnt, …
Es muss doch allen vollkommen klar sein welche Wirkung es hat, wenn die etablierte Partei überhaupt in der Öffentlichkeit solche Positionen vertritt. Bitte versteht mich Recht: Ampelkritik richtig und wichtig. Wenn allerdings von links bis rechts durchgängig behauptet wird, die Ampel würde die AfD stark machen, nimmt man zum einen die Union aus der Verantwortung und legitimiert zum anderen die Wahl von indiskutabel rechtsextremen Parteien. Direkt wieder unkritisch den Mythos des Protestwählers bedient. Geil. Zusätzlich trifft mich auch wie hilflos auf den hohen Anteil an „jungen Menschen“ unter den Erstwählern geschaut wird. Da fragt jemand auf Twitter „wie erklären wir uns das“ und zeigt damit eindrucksvoll, wie weit weg er von dieser Zielgruppe ist. 38% der Stimmen dieser Wählergruppe ging an die AfD. Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von klarem Marketing mit offensiver Ausrichtung auf die gewählte Zielgruppe.

Wer hier TikTok anführt, hat damit absolut Recht, muss aber darüber hinausschauen. Im Gegensatz zu den anderen Parteien, schafft es die Partei durch Präsenz, verschiedene Angebote und nicht zuletzt ihren Jugend Verband eine klare Ästhetik zu verkaufen. Das ist auch bewusst so formuliert, weil die AfD ein monströses Marketing an den Tag legt und seit zehn Jahren immer weiter an ihrem Image gefeilt hat.

Gleichzeitig hat sich von links zu wenig getan, um dem entgegenzutreten oder wenigstens mitzuhalten. Wer hier schmunzeln möchte, wird von mir nochmal an die starken Wahlergebnisse erinnert. Es fehlt ein klares Vorfeld, dass länderübergreifend agieren und mobilisieren kann. Besonders die Linksjugend [’solid] hat die Möglichkeit Unzufriedenheit mit der Politik, Widerstand „gegen oben“ und Gruppenzugehörigkeit mit Rebellion, dem Gefühl das Richtige zu tun und entsprechender Ästhetik zu verbinden.

Darüber hinaus hat die Linksjugend noch einen nicht zu vernachlässigenden Faktor. Demoromantik. Ich erinnere mich da an ein Foto von zwei Menschen, von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, sich küssend vor dem Wasserwerfer. Dieses Foto wurde online geteilt mit Überschriften wie „wenn Liebe nicht genau so aussieht, dann will ich sie nicht.“
Das ist Ästhetik die geteilt wird. Das macht Lust ein Teil davon zu werden. Darauf sollten wir aufbauen!

Abschließender Fakt ist: Sämtliche Parteien verpassen es zunehmend die Menschen, für die sie gewählt werden wollen in den Mittelpunkt ihrer politischen Kommunikation zu setzen und vor allem präsent zu sein! Der Kandidat der Linken Nam Suy Nguyen hat in Leipzig gezeigt, wie viel Erfolg es hat, sich genau daran wieder zu halten. Mit überwältigenden knapp 40% hat er sich souverän als Direktkandidat in seinem Wahlkreis durchgesetzt.
Dafür hat er an 50.000 Haustüren geklingelt, TikTok klug in seinen Wahlkampf mit einbezogen und dort in Kampagnenvideos Wähler aus dem Wahlkreis selbst sprechen lassen.

Was die AfD tatsächlich stark macht, sind Parteien, die genau diese Basisarbeit verlernt haben. Lieber noch ein populistisches Video mehr, wie doof alle anderen sind, statt sich tatsächlich auf die Menschen zu fokussieren, für die man angibt sich stark machen zu wollen. Und das Narrativ „Ampel ist schuld“ bedient genau das. Populistische Kurzanalyse, die am Ende das Wählen von rechtsextremen Parteien legitimiert, weil es den Mythos des armen Protestwählers, der sich hilflos an die AfD wendet, legitimiert.
Ich wünsche mir eine Kommunikation von Möglichkeiten. Wenn eine Linke die Grünen zurecht kritisiert, möchte ich dabei erwähnt wissen, was man in einer gemeinsamen Koalition Besseres erreichen könnte.

Beispiel Kindergrundsicherung. Vollkommen okay hier sowohl inhaltliche Ausarbeitung als auch Höhe der bewilligten Mittel zu kritisieren. Wenn danach aber nichts mehr kommt, bleibt nur „Grüne sind doof“ hängen. Mit dem Ergebnis, dass in Thüringen die Grünen nicht mehr im Landtag sitzen und die AfD dadurch ihre gewünschte Sperrminorität erreicht hat.
Stattdessen die Kritik abrunden mit „zusammen mit der Linken hätten die Grünen die Kompetenz an ihrer Seite, um dieses Gesetz sinnvoll zu auszuarbeiten und gemeinsam für die benötigten Mittel einzustehen“ schafft Lust darauf beiden Parteien meine Stimme zu geben.

Plötzlich sprechen wir über klare Möglichkeiten. Keine Utopien, sondern umsetzbare Wege.
Die Grüne in Thüringen wiederum hat jetzt jede Möglichkeit von außen anzugreifen. Wo bisher keine Zeit für Imagepflege war, weil politische Arbeit im Landtag nun mal einnimmt, könnten jetzt Kapazitäten frei sein. Ab jetzt sind die Grünen der Widerstand in Thüringen. Ab jetzt ist Punk Rock! Schluss mit „Mauerblume“. Warum denn nicht Disteln großziehen? Die Blüten der Distel können sich ebenfalls sehen lassen. Und Unkraut vergeht bekanntlich nicht.
Versteht mich bitte Recht: Ich möchte keinesfalls ausdrücken, dass das einfach wäre. Insbesondere unter einer so starken AfD in Thüringen offen Grün aufzutreten ist nicht ohne. Genau dieses Image kann allerdings genutzt werden. Ich bin mir sicher, dass es diese Möglichkeit nur einmal geben wird. Die Chance ist jetzt.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind das erstmal nur Impulse, die ich mit euch teilen will.
Einiges magst du vielleicht ähnlich sehen, anderes für Quatsch halten.
Das Einzige, worum ich dich bitten möchte ist, dass du hieraus etwas machst.
Nimm worin du mir widersprichst und baue deine eigenen Punkte daraus auf.
Wenn du einem Punkt zustimmst und eine Idee hast wie du es umsetzen kannst, setze es in die Tat um.
Wenn du den Artikel hilfreich findest, teile ihn mit anderen. Vielleicht entwickelt jemand aus
deinem Umfeld genau das richtige Konzept.
Nur bitte, bitte: Bleibt nicht in der Schockstarre! Bleibt nicht stehen! Macht kein „weiter so“!
Macht euren Rücken wieder gerade!
Wir haben so viele Möglichkeiten und so viele gute Menschen. Wenn wir das verkacken, liegt
es alleine an uns. Und zwar uns allen. Nicht nur an der Ampel. Nicht nur an den Grünen.
Ich habe da etwas dagegen.
Du auch? Dann lass uns zusammen was starten!

Deine Ideen an info@protestwaehlen.de
Soll ich zu Demos kommen? Einen Redebeitrag einbringen? -> info@protestwaehlen.de
Soll ich deiner Partei einen TikTok Workshop geben?
Oder Medienkompetenz an deiner Schule? -> info@protestwaehlen.de

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Foto: Sascha Heeskens

Hey, ich heiße Stefan.

Seitdem ich 2020 mit TikTok angefangen habe, war es mein Ziel, Ängste zu überwinden und Menschen zusammenzubringen.

Dieses Ziel erfüllt sich in #protestwählen.